Gülüstan Ayaz-Avcı sagt, dass ihr Leben an dem Tag endete, an dem Ramazan auf offener Straße in Hamburg ermordet wurde. Ihre Freunde und Familie wollten sie schonen, da sie im 9. Monat ihrer Schwangerschaft war. Trotzdem musste sie ihn sehen, um zu glauben, was passiert war. Im Krankenhaus erkannte sie ihren Partner nicht wieder. Ihm war der Kopf eingeschlagen worden und kurz darauf verstarb er. Eine Woche nach der Tat war die Geburt ihres Sohnes. Gülüstan nannte ihn Ramazan. Von den Solidaritätsdemonstrationen in Hamburg bekam die junge Witwe kaum etwas mit und es dauerte Jahre bis sie ihre Stimme fand, um über die Tat reden zu können. Heute stehen sie und ihr Sohn in engem Kontakt mit Ibrahim Arlsan und berichten als Zeitzeug*innen auf Veranstaltungen von ihren Erlebnissen.
Özge Pınar Sarp immigrierte vor wenigen Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Als politisch engagierte Person musste sie bald feststellen, dass die Perspektive der Betroffenen in der deutschen Linken kaum vertreten war. Sie begann zu recherchieren und ihre Funde führten sie zu Menschen und Taten, die nur selten in Statistiken zu rechter Gewalt auftauchten. Als Mitautorin des Buches „“Sie haben gedacht, wir waren das““ verarbeitete sie ihre Analysen und auch eigene Begegnungen mit Angehörigen von Betroffenen. Derweil musste auch Özge selbst feststellen, dass alltäglicher Rassismus zu einem ständigen Begleiter in ihrem Leben in Deutschland geworden war.
Ayşe Güleç gilt als eine der Initiatorinnen des NSU-Tribunals. Sie engagiert sich seit vielen Jahren gegen Rassismus und Gewalt. Als wichtige Figur innerhalb der migrantischen Community wirkt sie als Knotenpunkt für viele der durch den NSU betroffenen Familien. Ihr politischer Aktivismus sowie ihre Direktheit und Offenheit im Umgang mit ihren Mitmenschen manifestieren sich sowohl in ihrem alltäglichen Handeln, als auch in ihrer Organisation und Teilnahme an zahlreichen Veranstaltungen in ganz Deutschland.
Osman Taşköprü ist einer derjenigen, die gerade erst anfangen zu sprechen. Sein Bruder Süleyman wurde 2001 in Hamburg vom NSU umgebracht. Jahrelang ermittelte die Polizei gegen Osman und seine Familie. Auch 16 Jahre später kämpft Osman gegen die psychischen Narben und körperlichen Spuren, die der unvermittelte Mord hinterließen. Doch jetzt ist er nicht mehr allein: Ibrahim und andere Betroffene unterstützen ihn darin. Auf dem NSU-Tribunal in Köln begegnet er weiteren Betroffenen und Menschen, die ihn unterstützen möchten.
Ibrahim Arslan ermutigt andere Betroffene zum Sprechen. 1992 überlebte er als Siebenjähriger in nasse Decken gewickelt den rassistischen Brandanschlag in Mölln. Vier Stunden verbrachte er in der brennenden Küche bevor er gerettet wurde – für seine Schwester, Cousine und Großmutter kam jede Hilfe zu spät. Heute tritt Ibrahim lautstark an die Öffentlichkeit. In Zeitzeugengesprächen erzählt er an Schulen von seinen Erlebnissen. Beim NSU-Tribunal veranstaltet er einen Workshop von und für Betroffene: die Reaktionen und Teilnahme sind überwältigend. Für Ibrahim ein klares Zeichen für die Dringlichkeit seiner Arbeit.
Mai Phương Kollath hat ihre eigenen Erfahrungen mit dem staatlichen Umgang mit rassistisch motivierten Gewalttaten. Sie kam in den 1980ern aus Vietnam als Vertragsarbeiterin in die DDR. Über zehn Jahre lebte sie im „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen. Kurz nach ihrem Auszug steht sie im verkohlten Treppenhaus des Hochhauses. Von den Medien begleitet, haben Neonazis und Schaulustige das Haus 1992 tagelang belagert und schließlich in Brand gesetzt. In der Folgezeit versuchte Mai-Phuong mit einem deutsch-vietnamesischen Verein Brücken zu bauen. 25 Jahre später entladen sich die angestauten Gefühle. In einem Theaterstück am Maxim-Gorki Theater in Berlin verarbeitet sie ihre Erfahrungen. Die Begegnungen mit anderen Betroffenen beim NSU-Tribunal bestärken sie in ihrer Entscheidung endlich über das Geschehene zu sprechen.